Ein Anruf, der etwas veränderte
Neulich, bei einem Telefongespräch mit einer mir sehr nahestehenden Person, kamen wir auf das Thema Freundschaft zu sprechen. Die Person erzählte mir von einem Vorfall, der sich nur wenige Stunden zuvor ereignet hatte.
Im Grunde ging es darum, dass sie von jemandem, mit dem sie eine jahrzehntelange, tiefe Freundschaft pflegte, erneut verletzt wurde – scheinbar ohne ersichtlichen Grund. Quasi aus heiterem Himmel.
«Patrick», sagte sie unter Tränen, «ich weiss nicht, was mit der Person los ist, und ich weiss nicht, was ich falsch gemacht habe. Aber ich kann und will das nicht mehr. Ich mag nicht immer wieder der Fussabtreter sein, den man grundlos fertig macht, anschreit, beschimpft. Und ich mag auch nicht mehr die Person sein, die solches Verhalten entschuldigt und akzeptiert, indem ich mir sage: ‘Komm, du weisst, dass es der anderen Person im Moment nicht gut geht. Schluck es runter, geh wieder einen Schritt auf sie zu, das wird schon wieder.’ Mir wird gerade bewusst, dass ich das schon Jahre mit mir habe machen lassen. Ich zeigte immer Verständnis, habe ein solches Verhalten jahrelang toleriert, ja sogar aktiv nach Entschuldigungen dafür gesucht und mich selbst herabgewürdigt, indem ich zu mir selbst sagte: ‘Gib nach, du bist doch die Klügere. Dem Frieden zuliebe sage ich jetzt nichts. In einem guten Moment spreche ich das mal an. Irgendwann.’ Aber ich kann nicht mehr! Und ich will nicht mehr!»
Wenn Freundschaft wehtut
Nachdem sie mir die ganze Geschichte erzählt hatte, wusste ich: Es hat sich etwas verändert. Irgendetwas ist in ihr zerbrochen – oder vielleicht vielmehr aufgebrochen?
Es kann passieren, dass selbst jahrzehntelange Freundschaften auf die Probe gestellt werden, auf Eis gelegt oder gar zerbrechen, wenn jemand beginnt, zu erwachen. Wenn jemand anfängt, den eigenen Wert, die eigene wundervolle Seele zu erkennen – und für deren Gesundheit und Unversehrtheit einzustehen.
Der Preis des Erwachens
Viele Menschen in meinem Umfeld haben ein Herz aus Gold. Sie sind allzeit bereit, für andere durchs Feuer zu gehen. Viele von uns wurden so sozialisiert: Man passt sich an. Man hilft. Man stellt andere an erste Stelle. Man fällt nicht auf. Man steht nicht zu den eigenen Bedürfnissen oder Meinungen – aus Angst, jemandem weh zu tun.
Den Wenigsten wurde beigebracht, was Selbstakzeptanz, Selbstliebe und Selbstfürsorge wirklich bedeuten. Und genau daraus entstehen emotionale Abhängigkeiten.
Beziehungen oder Freundschaften, die nicht ausgeglichen sind – in denen eine Person, oft unbewusst, das Metronom darstellt und den Takt angibt, nach dem sich die andere richtet. Solche Beziehungen finden nicht auf Augenhöhe statt. Sie können lange, sehr lange gut gehen. Bis die Person, die sich zu sehr angepasst hat, erkennt:
«Das tut mir nicht gut. Das will ich nicht mehr. Das brauche ich nicht mehr.
Das verdiene ich nicht!»
Oder anders gesagt:
«Ich verdiene etwas anderes!»
Wachstum ist selten schmerzfrei
Wir alle haben diese Erfahrungen in irgendeiner Form gemacht. Wir wissen, dass Erwachen und Bewusstwerden selten schmerzfrei sind – manchmal auch nicht verlustfrei auf der Beziehungs- oder Freundschaftsebene.
Doch frag dich selbst: „Was ist mir wichtiger: Um jeden Preis eine Freundschaft oder Beziehung aufrechtzuerhalten, die mich immer wieder runterzieht, mein Selbstwertgefühl ins Wanken bringt und mich klein hält? Oder bin ich mir selbst genug – fühle mich wohl, geborgen und sicher in meiner eigenen Gesellschaft, sodass ich auf emotional missbräuchliche Freundschaften nicht mehr angewiesen bin?“
Wenn man Zweiteres wählt, hat das Konsequenzen. Schmerzliche, aufwühlende, wachrüttelnde. Aber eben auch schöne, befreiende, erhebende.
Wahre Nähe auf Augenhöhe
Ich habe die Erfahrung gemacht: Wenn man mit sich im Reinen ist, zieht man immer mehr Menschen an, die einem guttun. (Andere kommen nicht mehr oder verabschieden sich – manche laut, andere still und leise.)
Es treten Menschen ins Licht, die einem das Gefühl geben, auf gleicher Ebene zu sein. Die nicht aus jeder Meinungsverschiedenheit eine Staatsaffäre machen. Die einen nehmen und lassen, wie man ist. Die ermutigen, auf das Herz zu hören, Dinge zu tun, die Freude machen und guttun. Die immer wieder sagen: „Sorge für dich.“
Sie sind auch diejenigen, die im Sturm an deiner Seite stehen – so, wie du es gerade brauchst. Die dir den Spiegel vorhalten, dich liebevoll anschubsen oder dich einfach schweigend in den Arm nehmen.
Ihre Liebe ist nicht an Bedingungen geknüpft. Es gibt keine Bilanzrechnung, wer wem wann wie viele Gefallen getan hat. Und keine Buchführung darüber, wer wem was noch schuldig ist.
Die Wahl zu sich selbst
Ich bin meiner Chosen Family zutiefst dankbar, dass sie mir diese Liebe immer wieder aufs Neue schenkt. Dass ich nach vielen anderen Erfahrungen erleben darf, dass es bedingungslose, wahre Freundschaft und Liebe tatsächlich gibt.
Nichts anderes hast du, habe ich, haben wir alle verdient.
Der Weg zu dir selbst
Es lohnt sich, den Weg zu Selbstakzeptanz, Selbstliebe und Selbstfürsorge zu gehen. Es ist kein Sonntagsspaziergang am Seeufer. Es ist eine Berg- und Talfahrt. Man bekommt wunde Fusssohlen, vielleicht auch Blasen.
Doch der Frieden, die Freiheit und die Geborgenheit, die man dadurch gewinnt – sind es am Ende mehr als wert.
Keep on keeping on.
Du bist ein einzigartiger, wunderschöner, liebenswerter und wertvoller Mensch. Ein göttliches – und somit perfektes – Wesen. Lass dir von niemandem etwas anderes einreden!


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